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Von Dr. med. Bernd Guzek
Immer wieder bekommen Menschen, die mit dem Trinken aufhören wollen, von ihrem Arzt ein Rezept für ein Antidepressivum in die Hand gedrückt – meist ein sogenanntes SSRI. „Nehmen Sie das mal!“ – aber helfen SSRI beim Alkoholentzug, oder sogar direkt gegen die Sucht, sind sie Medikamente gegen Alkoholabhängigkeit? Wir schauen uns das mal genauer an. Danke an der Stelle an unser Forumsmitglied @harley, der mich auf die Idee brachte.
Ärztegesellschaften und Fachverbände einigen sich regelmäßig auf sogenannte Leitlinien, so dass man das leicht überprüfen kann. Leitlinien sind so etwas wie ein gemeinsamer Fahrplan für Ärztinnen und Ärzte: Fachgesellschaften – also Zusammenschlüsse von Expertinnen und Experten aus Medizin, Psychotherapie, Pflege und manchmal auch Patientenvertreter – sichten regelmäßig die gesamte wissenschaftliche Literatur zu einer Krankheit und bewerten, welche Behandlung nach heutigem Wissen am besten wirkt.
Leitlinien – keine Gesetze, aber Rahmen für ärztliches Handeln
Daraus entstehen Empfehlungen, die beispielsweise in Deutschland von der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) koordiniert werden. Leitlinien sind keine Gesetze, aber sie geben eine wichtige Orientierung, damit Patienten in Hamburg oder Wien im Prinzip die gleiche Behandlung bekommen wie in München oder Zürich - und dass diese Behandlung auf einer soliden medizinisch-wissenschaftlichen Basis steht.
Leitlinien haben einen hohen Stellenwert als Maßstab für ärztliches Handeln. Sie sind keine Gesetze, aber wer sich bei der Behandlung von Patienten daran hält, ist rechtlich auf der sicheren Seite. Wer abweicht, muss es dagegen sehr gut begründen können. Ein Arzt, der SSRI beim Alkoholentzug ohne Depression verschreibt, begibt sich auf sehr dünnes Eis. Geht etwas schief, braucht er in einem Kunstfehlerprozess gute Anwälte und Gutachter, um seine Abweichung von den Leitlinien hieb- und stichfest zu begründen.
Darum haben SSRI im Alkoholentzug meist nichts zu suchen
Werfen wir einen Blick auf die Leitlinien zu alkoholbezogenen Störungen zur Behandlung von Alkoholsucht und Alkoholmissbrauch. Da steht klar: SSRI sind nicht für die Behandlung von Alkoholentzug oder als Rückfallprophylaxe bei Alkoholkrankheit gedacht. Für die akute Entzugsphase gibt es andere Medikamente wie Benzodiazepine, die Krampfanfälle und schwere Entzugssymptome verhindern. Und für die Zeit danach stehen, wenn nötig, Medikamente wie Acamprosat, Naltrexon oder Nalmefen zur Verfügung, die speziell für die Rückfallverhütung entwickelt wurden.
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Warum ist das so? Schauen wir uns das einmal pharmakologisch an: SSRI blockieren den Rücktransport von Serotonin aus dem synaptischen Spalt zurück in die Nervenzelle. Dadurch steigt die Konzentration von Serotonin an den Rezeptoren. Diese Wirkung setzt nicht sofort ein, sondern erst nach Tagen bis Wochen.
Das kann man im akuten Alkoholentzug aber nicht brauchen.
Das spielt sich im Entzug im Gehirn ab
- Im akuten Alkoholentzug ist das Gehirn in einem massiven Ungleichgewicht: GABA und Glutamat sind aus dem Lot, das vegetative Nervensystem ist überaktiv, das Krampfrisiko ist hoch. Serotonin spielt in diesem Moment keine Hauptrolle. Ein SSRI hat deshalb keine kurzfristig hilfreiche Wirkung gegen die typischen Entzugssymptome.
Krampfanfälle
- Das ist aber noch nicht alles. Gefürchtet sind im Alkohol die Krampfanfälle, die leicht unkontrollierbare Situationen auslösen können. Ausgerechnet dafür senken die SSRI nun die Schwelle und erhöhen so das Risiko für diese Komplikation. Genau deshalb erhalten die Patienten im akuten Entzug Diazepame, die das Risiko für Krämpfe senken.
- SSRI können Unruhe, Schlafstörungen und Übelkeit verstärken – Symptome, die im Entzug ohnehin schon die Patienten quälen.
Leberfunktion
- Manche SSRI beeinflussen die Leberfunktion oder den Natriumhaushalt (Hyponatriämie) und können dadurch körperliche Risiken erhöhen, die beim Alkoholkranken schon durch Leberschädigung oder Elektrolytstörungen bestehen.
- Der gewünschte stimmungsaufhellende Effekt durch SSRI tritt (wenn überhaupt) frühestens nach einigen Wochen ein – also zu spät, um im Entzug zu helfen. Gleichzeitig können in der Anfangsphase aber vermehrt Unruhe oder sogar Suizidgedanken auftreten. Für einen labilen Patienten in der Entzugsphase ist das ein Risiko.
Fazit: SSRI sind keine Entzugsmedikamente, sondern können Risiko sein
In der Fachsprache der Leitlinien heißt das: Die Gabe von SSRI an Alkoholabhängige ohne klare psychiatrische Komorbidität ist daher weder leitliniengerecht noch evidenzbasiert. Sie birgt erhebliche Risiken und kann die eigentliche Therapie verzögern. Für Ärzte bedeutet das eine besondere Verantwortung: Symptome sorgfältig differenzialdiagnostisch zu prüfen, Patienten über die Grenzen einer SSRI-Behandlung aufzuklären und stattdessen die Verfahren einzusetzen, die ihre Wirksamkeit belegt haben.
Übersetzt in normales Deutsch bedeutet das: Als Mittel gegen die Sucht selbst sind SSRI weder wirksam noch vorgesehen. Sie sind für den Alkohol-Entzug nicht nur nutzlos, sondern können den Körper zusätzlich belasten und schwere Komplikationen wie Krampfanfälle fördern. Ausnahmen können mittelschwere bis schwere Depressionen sein, aber nicht Unruhe und Verstimmung wie im Entzug – und die müssen aufwändig und akribisch diagnostiziert werden.
Literatur und Leitlinien
- Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). S3-Leitlinie Alkoholbezogene Störungen. AWMF-Registernr. 076-001, 2021. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/076-001.html
- Pettinati HM et al. Antidepressant treatment of co-occurring depression and alcohol dependence. Biol Psychiatry. 2013;73(8): 708-716. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/23186211/
- Kranzler HR, Soyka M. Diagnosis and pharmacotherapy of alcohol use disorder: a review. JAMA. 2018;320(8): 815-824. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30167706/

Häufig gestellte Fragen (FAQ)
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[aa-faq-item question="Empfehlen Leitlinien SSRI beim Alkoholentzug?"]
Nein. Leitlinien zur Alkoholerkrankung empfehlen SSRI nicht für die Behandlung des Entzugs oder für die Rückfallprophylaxe.
[/aa-faq-item]
[aa-faq-item question="Wann sind SSRI bei Alkoholabhängigen sinnvoll?"]
SSRI werden nur bei klar diagnostizierter mittelschwerer oder schwerer Depression oder anderen psychiatrischen Störungen eingesetzt –
nicht aber für die Sucht selbst oder den normalen Entzug.
[/aa-faq-item]
[aa-faq-item question="Welche Medikamente empfehlen die Leitlinien stattdessen?"]
Für die akute Entzugsbehandlung empfehlen die Leitlinien Benzodiazepine.
Für die Rückfallprophylaxe sind Acamprosat, Naltrexon oder Nalmefen vorgesehen.
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Dr. med. Bernd Guzek
Arzt, Autor, Angehöriger & Mitbegründer von Alkohol adé
Beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den biochemischen Grundlagen von Sucht und Hirnstoffwechselstörungen sowie deren Beeinflussung durch Nährstoffe.
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