Alkoholträume – für manche ein angstbesetztes Alarmsignal, dass ein Rückfall bevorstehen könnte – für andere ein Zeichen dafür, dass ihre Verarbeitung der Suchtzeit vorangeht und sie innerlich weitergekommen sind.“ Was sagt die Wissenschaft dazu? Wir haben uns das mal näher angeschaut.
Von Dr. med. Bernd Guzek
Viele Menschen, die mit dem Trinken aufgehört haben, kennen dieses Erlebnis: Man wacht mitten in der Nacht auf, das Herz schlägt schneller, man hatte ein Glas Alkohol in der Hand – oder schlimmer – man hat im Traum tatsächlich getrunken. Für viele ist das ein Schock. Oft kommen Fragen auf wie: „Bin ich in Gefahr?“, „Ist das ein Rückfall im Schlaf?“ oder „War das ein Zeichen, dass etwas in mir noch nicht verarbeitet ist?“.
Bevor man Schlüsse zieht, lohnt ein Blick darauf, was die Wissenschaft dazu sagt. Studien zeigen seit Jahren, dass alkohol- und drogenbezogene Träume ein häufiges Phänomen sind – besonders in den ersten Wochen und Monaten der Abstinenz, aber nicht selten auch Jahre später. In einer großen Untersuchung von Kelly und Greene, die über zweitausend ehemals abhängige Menschen befragten, berichtete rund ein Drittel von solchen Träumen.
Ein Drittel der Ex-Abhängigen hat solche Träume
Interessant war vor allem, dass sie mit zunehmender Abstinenzdauer seltener wurden, zugleich aber häufiger bei Menschen auftraten, die eine sehr schwere Suchtgeschichte hinter sich hatten. Das heißt: Der Traum selbst sagt zunächst wenig aus. Er spiegelt vor allem wider, wie stark bestimmte Muster im Gehirn einmal eingeprägt waren.
Das passt zu klinischen Beobachtungen, etwa aus der Arbeit von Flowers und Zweben. Sie zeigten, dass Träume in der frühen Abstinenz oft unangenehm und beängstigend sind. Viele Menschen erwachen mit Schuldgefühlen oder mit dem Gefühl, „versagt“ zu haben, obwohl sie im Alltag fest abstinent sind, haben Angst, dass ein Rückfall bevorsteht.
Später allerdings verändert sich der Ablauf dieser Träume. Manche berichten dann von Szenen, in denen sie im Traum deutlich „nein“ sagen oder das angebotene Getränk bewusst ablehnen. Diese Menschen erleben solche Träume eher als Bestätigung dafür, wie sehr sich ihre Identität gewandelt hat. Der Traum wird dann weniger Bedrohung, sondern eher eine Art psychische Nachverarbeitung.
Intensive Träume sind auch eine Nachwirkung der Sucht
Dass überhaupt so intensiv geträumt wird, hat auch biologische Gründe. Alkohol unterdrückt über viele Jahre hinweg den REM-Schlaf – also die Phase, in der wir am häufigsten träumen. Wenn der Alkohol wegfällt, kommt es deshalb zu einem REM-Rebound: Träume werden lebhafter, intensiver und emotionaler als zuvor. Viele berichten in dieser Phase von Albträumen oder sehr plastischen inneren Szenen, die sie jahrelang nicht kannten. Dieses Schlafphänomen wurde mehrfach wissenschaftlich beschrieben und ist kein Zeichen von Gefahr, sondern schlicht eine Umstellung des Gehirns auf normalen Schlaf.
Eine weitere Studie, diesmal von Steinig und Kollegen, untersuchte Menschen direkt während der Entgiftung. Auch dort zeigte sich: Träume rund um Alkohol sind häufig, besonders in den ersten Wochen. Sie werden mit der Zeit weniger – verschwinden aber nicht zwangsläufig vollständig. Das Gehirn nutzt den Schlaf, um alte Erinnerungen, Gefühle und Muster zu sortieren. Wer lange getrunken hat, hat viele biografische und emotionale Bausteine, die mit Alkohol verwoben sind. Dass diese im Traum auftauchen, ist erwartbar.
Sind Alkoholträume ein Warnsignal? Ein Blick auf den Alltag
Dazu passt die Erfahrung vieler Betroffener, die sagen: „Wenn man sich intensiv mit dem Thema beschäftigt – etwa in einer Selbsthilfegruppe, in Therapie oder beim Lesen über Rückfallprophylaxe – dann träumt man logischerweise auch mehr davon.“ Ein Betroffener formulierte es einmal treffend: „Es ist nicht immer ein Warnsignal, was die schlafende Rübe macht. Warnsignale sind eher die Dinge, die ich wach mache.“
Dieser Satz bringt gut auf den Punkt, was auch die Forschung zeigt. Allein der Inhalt eines Traums sagt weder „Achtung, Rückfall droht“ noch „Alles ist gut“. In einer Arbeit von Tanguay etwa zeigte sich, dass Nächte mit drogenbezogenen Träumen am nächsten Morgen zu mehr innerer Unruhe und etwas stärkerem Verlangen führen können. Nicht aber, weil der Traum etwas prophezeit hätte, sondern weil er emotional aufwühlt. Wer an einem solchen Tag ohnehin gestresst oder einsam ist, steht unter höherer Belastung – und dann steigt die Rückfallgefahr durch den gesamten Kontext, nicht durch den Traum selbst.
Träume oft Ergebnis bewusster Verarbeitung
Andere Menschen erleben Träume dagegen als Teil ihrer Verarbeitung. Manche berichten: „Ich habe geträumt, weil ich viel an meiner Rückfallprophylaxe gearbeitet habe. Nach zwei, drei Monaten hörte das wieder auf.“ Psychologen bestätigen, dass solche Träume häufig auftreten, wenn man sich bewusst mit der eigenen Geschichte auseinandersetzt. Sie können dann Ausdruck eines inneren Ordnungsprozesses sein – das Gehirn baut gewissermaßen alte Verbindungen ab und neue auf.
Spannend ist, dass die Forschung dieses Spannungsfeld gut beschreibt. In manchen Studien erscheinen „using dreams“ eher als Zeichen einer Belastungsphase, in anderen als Hinweis auf psychische Verarbeitung und Stabilität. Die neueste Übersichtsarbeit kommt deshalb zu einem nüchternen Urteil: Man kann aus einem einzelnen Traum keine eindeutige Botschaft herauslesen – weder im negativen noch im positiven Sinne.
Das heißt im Klartext:
Wer vom Trinken träumt, ist nicht automatisch gefährdet, aber er ist genauso wenig automatisch „über den Berg“. Der Traum sagt nur, dass im Gehirn noch etwas in Bewegung ist.
Entscheidend ist der Umgang mit dem Traum
Für den Alltag bedeutet das: Entscheidend ist nicht, dass man träumt, sondern wie man damit umgeht und wie es einem tagsüber geht. Menschen, die ihre Abstinenz stabil halten, sagen oft: „Ich rede darüber, und dann ist es gut.“ Andere schreiben die Träume auf, um Distanz zu bekommen. Wichtig ist, die Gefühle ernst zu nehmen, aber keine Panik zu entwickeln. Wer merkt, dass ein Traum spürbares Craving am nächsten Morgen auslöst, kann – und sollte – auf seine bekannten Schutzfaktoren zurückgreifen: Austausch in der Gruppe, klare Tagesstruktur, Stressabbau, soziale Unterstützung. Häufig beruhigt sich das System dann sehr schnell.
Und noch etwas zeigt sich immer wieder: Alkoholträume verschwinden meist von selbst. Manche treten nur in der Entgiftung auf, manche später in Phasen stärkerer emotionaler Belastung, manche tauchen nach Jahren noch einmal kurz auf – und sind dann wieder weg. Sie gehören für viele einfach zur Heilung dazu, ähnlich wie alte Erinnerungen, die irgendwann auftauchen und später verblassen.
Am Ende bleibt der vielleicht wichtigste Gedanke: Ein Traum ist ein inneres Bild, kein Verhalten. Er signalisiert nicht „Du wirst fallen“, sondern meist nur: „Dein Gehirn erinnert sich.“ Das Entscheidende passiert im wachen Leben – in den Entscheidungen, die man trifft, in den Strukturen, die man pflegt, in der Unterstützung, die man sich holt. Die meisten Menschen, die solche Träume erlebt haben, berichten später, dass ihnen diese Momente letztlich geholfen haben, die eigene Haltung zur Abstinenz zu festigen, weil sie ihnen gezeigt haben, wie sehr sie im realen Leben auf einem anderen Weg unterwegs sind.
Diskussionen zum Thema Alkoholträume findest Du hier im Forum von Alkohol ade
Alkoholträume können erschrecken, sind aber ein bekanntes und häufiges Phänomen. Wichtig ist nicht der Traum selbst, sondern der Umgang damit. Diese Schritte haben sich bewährt:
1. Kurz innehalten. Nach einem belastenden Traum bewusst durchatmen und sich vergewissern: „Es war nur ein Traum.“
2. Darüber sprechen. Ob mit Partner, Freund, Selbsthilfegruppe oder Therapeut – das Teilen nimmt Druck und schafft Abstand.
3. Den Tag stabil halten. Eine klare Tagesstruktur, kleine Routinen und feste Mahlzeiten dämpfen das Stressniveau nach einer unruhigen Nacht.
4. Craving ernst nehmen. Falls der Traum inneres Verlangen verstärkt, helfen bewährte Skills: Bewegung, kurze Ablenkung, kaltes Wasser, Gespräch, kurze Notiz.
5. Schlaf im Blick behalten. Wiederkehrende intensive Träume sind oft ein Zeichen für gestörten Schlaf. Gute Schlafhygiene kann deutlich entlasten.
6. Warnsignale erkennen. Wenn gleichzeitig Stress, Konflikte, Einsamkeit oder alte Muster auftauchen, lohnt sich zusätzliche Unterstützung.
Ein einzelner Traum ist kein Alarmzeichen. Er zeigt nur, dass das Gehirn noch arbeitet – nicht, dass etwas schief läuft.
Kleine Studien-Übersicht
Kelly, J. & Greene, M. (2019)
The reality of drinking and drug using dreams: A study of the prevalence, predictors, and decay with time in recovery.
Groß angelegte Studie (n=2000+). Etwa ein Drittel der Teilnehmenden berichtete Konsumträume. Häufigkeit nimmt mit der Abstinenzdauer ab; häufiger bei schwerer Suchtbiografie.
PubMed
Flowers, M. & Zweben, J. (1998)
The changing role of “using” dreams in addiction recovery.
Qualitative Arbeit: Frühe Abstinenz → beunruhigende Träume; spätere Phase → Träume mit aktivem „Nein-Sagen“ und zunehmender innerer Stabilität.
Abstract
Steinig, J. et al. (2011)
Perception of sleep and dreams in alcohol-dependent patients during detoxication and abstinence.
Alkoholabhängige haben in Entzug/Frühabstinenz mehr negative, intensivere Träume. Bessern sich nach ~4 Wochen, verschwinden aber nicht komplett.
PubMed
Koob, G. & Colrain, I. (2019)
Alcohol use disorder and sleep disturbances.
Übersicht zu Schlafstörungen bei Alkoholabhängigkeit. Zeigt REM-Suppression durch Alkohol und REM-Rebound mit lebhaften Träumen während des Entzugs.
Volltext
Danışman, S. et al. (2024)
Review of Substance-Related Dreams through Typical Dreams.
Umfassender Überblick: „Drogenträume“ haben widersprüchliche Bedeutung – können Belastung oder Verarbeitung anzeigen. Keine klare Prognosekraft.
PDF
Brower, K. (2010)
Sleep disturbance as a universal risk factor for relapse in addictions.
Zeigt, dass Schlafstörungen (inkl. Albträumen) ein klarer Risikofaktor für Rückfälle sind – nicht der Trauminhalt selbst, sondern die Schlafqualität.
PubMed
Bootzin, R. & Stevens, S. (2005)
Sleep deprivation, alcohol, and relapse risk.
Beschreibt, dass Schlafmangel und REM-Dysregulation das dopaminerge System destabilisieren und so indirekt Rückfallvulnerabilität erhöhen können.
PubMed
Cartwright, R. (2010)
The role of REM sleep and dreaming in emotional adaptation.
Klassische Traumforschung: REM-Schlaf dient emotionaler Verarbeitung. Passt gut dazu, warum Alkoholträume Teil des psychischen „Umbaus“ sind.
PubMed
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Nicht unbedingt. Studien zeigen, dass Alkoholträume zwar mit innerer Unruhe und stärkerem Verlangen am nächsten Tag verbunden sein können. Ein Traum allein sagt aber nicht voraus, dass ein Rückfall bevorsteht. Entscheidend ist immer der Gesamtkontext: Stress, Schlafqualität, Tagesverfassung und die Unterstützung im Alltag.Sind Alkoholträume ein Anzeichen für einen drohenden Rückfall?
Ja, das kommt vor. Viele Betroffene berichten, dass sie im Traum aktiv „nein“ sagen oder den Konsum ablehnen. Forscher sehen darin häufig ein Zeichen dafür, dass das Gehirn alte Muster verarbeitet und sich die Abstinenz im Inneren stabilisiert.Kann ein Alkoholtraum auch ein gutes Zeichen sein?
Alkohol unterdrückt über viele Jahre den REM-Schlaf. Wenn man aufhört zu trinken, kommt es zu einem sogenannten REM-Rebound: Der Schlaf wird lebhafter, emotionaler und man kann sich wieder besser an Träume erinnern. Das ist ein normaler biologischer Anpassungsprozess.Warum träumt man in der Abstinenz so intensiv?
Etwa ein Drittel aller ehemals Abhängigen berichtet in Studien von Konsumträumen. Besonders häufig sind sie in den ersten Wochen und Monaten der Abstinenz, können aber auch später in Stressphasen wieder auftreten.Wie häufig sind Alkoholträume?
Ein guter erster Schritt ist, darüber zu sprechen – mit einer vertrauten Person, in einer Selbsthilfegruppe oder in Therapie. Auch das Aufschreiben des Traums kann helfen, Abstand zu gewinnen, zum Beispiel hier im Forum. Wichtig ist außerdem, bekannte Schutzfaktoren zu stärken: Tagesstruktur, Schlafhygiene, Stressabbau und soziale Unterstützung.Was kann ich tun, wenn ein Alkoholtraum mich belastet?
Der Traum selbst ist nicht gefährlich. Problematisch wird es nur, wenn er Teil einer größeren Belastungsphase ist – etwa wenn gleichzeitig Schlafmangel, starkes Craving, Konflikte oder hoher Stress bestehen. Dann sollte man das ernst nehmen und aktiv gegensteuern.Sind Alkoholträume gefährlich?
Nein. Ein Traum löst keinen Rückfall aus. Aber ein belastender Traum kann eine vorhandene innere Spannung verstärken. Wer seine Schutzfaktoren kennt und anwendet, ist in der Regel gut abgesichert.Kann ein Traum wirklich einen Rückfall auslösen?
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Dr. med. Bernd Guzek
Arzt, Autor, Angehöriger & Mitbegründer von Alkohol adé
Beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den biochemischen Grundlagen von Sucht und Hirnstoffwechselstörungen sowie deren Beeinflussung durch Nährstoffe.

