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Kontrolliert trinken? Warum das nicht funktioniert

Irgendwie muss ich das doch in den Griff kriegen … viele erinnern sich an die Phase in der Vergangenheit, andere versuchen es immer noch verzweifelt und stecken noch mittendrin. „Kontrolliertes Trinken“ setzt aber intakte Kontrollmechanismen voraus. Für diagnostizierte Abhängigkeit ist Abstinenz ist die einzige stabile Lösung.

Von Dr. med. Bernd Guzek

Viele Menschen mit Alkoholproblemen klammern sich an die Hoffnung, den Konsum nur irgendwie „in den Griff“ bekommen zu müssen. Ein Glas am Abend, nie mehr als zwei am Wochenende – so lautet der Plan. Doch diese Pläne scheitern fast immer.

So klingt es, wenn Menschen in unserem Forum von ihren Versuchen berichten, kontrolliert zu trinken: „Bis zum ersten Samstag ‘durfte’ ich noch trinken, denn es galt erst ab Samstag. Samstag war dann also der erste Abend. Alles Prima. Spät bin ich nach Hause gekommen und leider wie jedesmal über den Kühlschrank hergefallen.

Aufgrund dessen habe ich mich am Sonntagmorgen fett wie eine Tonne gefühlt und mir spätestens am Nachmittag gedacht ‘naja, heute Abend gibt es mal nichts zu essen, aber dafür kannst du ja nochmal was trinken’. Und so weiter und so fort. Nein! Es funktioniert NICHT. …

Wenn ein Alkoholkranker kontrolliert trinken könnte, wäre er keiner

„Kontrolliertes Trinken“ setzt intakte Kontrollmechanismen voraus. Genau diese sind bei Alkoholkranken aber gestört. Wer die Kontrolle über seinen Konsum verloren hat, kann sie nicht durch Willenskraft wiedergewinnen. Schon kleine Auslöser – Stress, Ärger, Einsamkeit – genügen, um den nächsten Absturz einzuleiten.

Hinzu kommt zwei Sätze, die sich unserer Beratungspraxis immer wieder bestätigen:

Wenn Du darüber nachdenkst, ob Du ein Alkoholproblem hast – dann hast Du längst eines.
Und:
Wenn Du Angst davor hast, gar nichts mehr zu trinken, dann hat das Suchtmittel Alkohol Dich schon fest im Griff.

Regeln sind schon das Eingeständnis

Viele Betroffene versuchen, sich selbst Regeln zu setzen: nur am Wochenende, nie vor 18 Uhr, nur Bier statt Schnaps. Anfangs klappt das ein paar Tage oder Wochen. Doch irgendwann kommt der Moment, in dem das schöne Regelwerk Stück für Stück wieder zerbricht.

Wenn Du schon Regeln brauchst, um Deinen Konsum zu begrenzen, dann sitzt Du längst in der Falle. Wer kein Problem mit dem Alkohol hat, braucht keine Regeln. Dass sie notwendig erscheinen, zeigt: Die Kontrolle ist bereits verloren.

Was die Forschung sagt

Wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen das. Manche Studien berichten von kurzfristigen Erfolgen – weniger Trinktagen, kleineren Mengen. Aber: Langfristig fällt die große Mehrheit wieder auf das alte Niveau zurück.

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Nur ein kleiner Teil profitiert überhaupt von kontrolliertem Trinken – meist Menschen mit schwach ausgeprägtem Problemkonsum, die noch gar nicht wirklich abhängig sind. Für diagnostizierte Abhängigkeit gilt dagegen: Abstinenz ist die einzige stabile Lösung.

Warum viele Studien trügen – und was das mit Dir zu tun hat

Die meisten Studien, die „kontrolliertes Trinken“ positiv bewerten, beruhen auf Selbstauskünften: Trinktagebücher, Fragebögen, Interviews. Nur selten kommen Blutwerte oder andere objektive Marker zum Einsatz.

Das klingt harmlos, hat aber eine große Schwäche: Süchtige sind Weltmeister im Selbstbetrug. Wer trinkt, neigt dazu, Mengen kleinzureden oder zu verschweigen – nicht aus bösem Willen, sondern weil die Scham groß ist und die eigene Wahrnehmung sich längst immer mehr verzerrt.

⚠️
Hand aufs Herz!

👉 Wie oft hast Du selbst schon den einen oder anderen Drink verschwiegen, wenn Dich jemand nach Deinem Konsum gefragt hat?

Genau das passiert auch in Studien. Auf dem Papier sieht es so aus, als ob kontrolliertes Trinken funktioniert. In der Realität ist es oft nur eine beschönigte Momentaufnahme aus zweifelhaften Selbstauskünften – die beim nächsten Rückfall in sich zusammenfällt.

Auch unsere tägliche Arbeit zeigt: Manche Betroffene klammern sich verzweifelt an die Hoffnung, dass ein paar Regeln das Problem schon beseitigen würden. Doch die Regeln brechen zuverlässig zusammen. Alkohol findet immer einen Weg zurück ins Leben – und oft heftiger als zuvor.

Der Fall Audrey Kishline

Ein besonders tragisches Beispiel ist Audrey Kishline, die Gründerin der amerikanischen Bewegung Moderation Management. Kishline war selbst Alkoholikerin, haderte aber damit, sich so zu bezeichnen. Es „degradiere sie“, fand sie. 1994 schuf sie ein Programm, das kontrolliertes Trinken propagierte und viele Anhänger fand.

Doch sie selbst konnte ihren Konsum nicht in den Griff bekommen. Im Jahr 2000 wurde sie sturzbetrunken zum Geisterfahrer, stieß auf der Autobahn mit einem entgegen kommenden Fahrzeug zusammen und tötete ein zwölfjähriges Mädchen und ihren Vater. Dafür wanderte sie ins Gefängnis.

In einem Fernsehinterview Jahre später räumte sie ein, dass die Idee vom kontrollierten Trinken wohl eher der Wunschtraum einer Süchtigen gewesen sei. 2014 nahm sie sich das Leben, weil sie mit der Schuld nicht leben konnte.

Deutsche Krankenkassen zahlen Kurse zum „kontrollierten Trinken“ – als “Prävention”

Besonders irritierend ist, dass in Deutschland manche Krankenkassen Programme zum „kontrollierten Trinken“ unverdrossen sogar finanziell unterstützen. Grundlage ist § 20 SGB V, der Präventionsmaßnahmen fördert. Anbieter solcher Kurse lassen ihre Angebote von der „Zentralen Prüfstelle Prävention“ anerkennen und bewerben sie dann als kassenbezuschusst. So heißt es etwa, die Teilnahmegebühr von rund 180 Euro werde von einigen Krankenkassen im Rahmen ihrer Präventionsprogramme übernommen.

Prävention, wirklich?

Damit fließen Beitragsgelder in Maßnahmen, die im Kern das Trinken eines karzinogenen Suchtmittels fördern. Denn Ethanol – der eigentliche Wirkstoff im Alkohol – gilt nachweislich als krebserregend. Was als Prävention deklariert wird, läuft so Gefahr, eine tödliche Illusion zu stabilisieren: dass sich der Konsum eines Suchtmittels kontrollieren lasse, statt klar auf Abstinenz zu setzen. Mit der gleichen Logik könnten Kassen polemisch gesagt auch Fentayl-Abhängigen Kurse zum verantwortlichen Umgang mit der Droge finanzieren, etwas unter dem Motto “nur ein Schuss pro Woche”.

Hinzu kommt, dass eine Schweizer Studie gezeigt hat, dass Patienten mit dem klaren Ziel “Abstinenz” Suchttherapien deutlich früher und damit auch kosteneffektiver abschließen als die, die um das kontrollierte Trinken ringen.

Fazit

Kontrolliert trinken klingt verlockend, doch es bleibt eine Illusion. Für Menschen mit einer Abhängigkeit ist Abstinenz nicht die strengere Lösung, sondern die einzige realistische.

Kleine Studien-Übersicht

  1. Henssler et al. (2021) – Controlled drinking — non-abstinent versus abstinent treatment goals in alcohol use disorder (Systematic Review + Meta-Analyse) Das ist eine der aktuellsten Metaanalysen, die Ergebnisse von nicht-abstinenten Strategien (moderiertes Trinken) mit abstinenzorientierten Ansätzen bei diagnostizierter Alkoholabhängigkeit vergleicht. Im Ergebnis schneiden abstinenzbasierte Strategien besser ab. 
  2. D. Eddie et al. (2022) – Abstinence versus moderation recovery pathways Diese Arbeit beleuchtet Wege der Erholung und untersucht, unter welchen Bedingungen Menschen, die von Alkoholproblemen gekommt sind, moderate Konsummuster beibehalten. Sie hebt hervor, dass Abstinenz oft stabiler ist. 
  3. Ingesson-Hammarberg et al. (2024) – Predictors of treatment outcome … controlled drinking in AUD In dieser Studie wurden in einem randomisierten Design Methoden wie Behavioral Self-Control Training (BSCT) und Motivational Enhancement Therapy (MET) eingesetzt und analysiert, wer bei einem Ziel „kontrolliertes Trinken“ erfolgreich war. Die Studie liefert prädiktive Faktoren, die den Erfolg moderierter Ziele beeinflussen. 
  4. Kosok et al. (2006) – What type of drinker seeks controlled drinking? Diese Studie untersucht, welche Art von Menschen zu Moderation Management oder vergleichbaren Programmen tendiert, z. B. jene mit weniger schwerem Problemkonsum. Sie zeigt, dass häufig Menschen mit milderen Problemen in solchen Programmen aktiv sind — nicht die schweren Abhängigen. 
  5. RecoveryAnswers – Übersicht: „Reducing or Quitting Drinking? An Extensive Review of Health Benefits“ Diese Übersichtsarbeit diskutiert Vor- und Nachteile von Reduktion vs. Abstinenz und deutet an, dass beide Wege positive gesundheitliche Effekte bringen, während für manche Zielgruppen der Abstinenzweg insgesamt relevanter sein dürfte. 
  6. RecoveryAnswers / Kuerbis et al. – „Who Is Most Likely to Benefit from Moderation-focused Alcohol Treatment?“ Diese Arbeit untersucht Charakteristika von Menschen, bei denen moderierter Konsum realistischer erscheint (z. B. kürzere Trinkgeschichte, geringerer Schweregrad) — und grenzt sie von den klassischen Abhängigen ab. 

Weiterführende Studien & Literatur

  • Henssler et al. (2021): Systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse. Ergebnis: abstinenzorientierte Strategien sind bei Alkoholabhängigkeit erfolgreicher als kontrolliertes Trinken. PubMed-Link
  • Palpacuer et al. (2018): Meta-Analyse zu Medikamenten wie Nalmefen oder Naltrexon. Befund: keine überzeugende Evidenz, dass Pharmaka kontrolliertes Trinken langfristig ermöglichen. PubMed-Link
  • Eddie et al. (2022): Untersuchung von Genesungswegen. Fazit: Abstinenzpfade sind stabiler als moderationsorientierte Wege. PMC-Link
  • Kuerbis et al. (2014): Studie über Prädiktoren für moderiertes Trinken. Erfolg eher bei leichterem Problemkonsum, nicht bei manifester Abhängigkeit. RecoveryAnswers-Link

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Kann ein Alkoholkranker kontrolliert trinken?

Kurzfristig schaffen manche Betroffene eine Reduktion. Langfristig bricht es bei Abhängigkeit fast immer zusammen.
Wenn ein Alkoholkranker kontrolliert trinken könnte, wäre er keiner.

Woran erkenne ich, dass ich bereits abhängig bin?

Typisch sind Kontrollverlust, starker Wunsch zu trinken, Entzugssymptome und weiter trinken trotz Schaden.
Wer Regeln braucht, um den Konsum zu begrenzen, sitzt meist schon in der Falle.

Helfen Regeln wie „nur am Wochenende“ oder „nie vor 18 Uhr“?

Solche Regeln halten selten. Sie sind eher ein Zeichen für verlorene Kontrolle.
Wer kein Problem hat, braucht keine Regeln.

Was sagt die Forschung zum kontrollierten Trinken?

Studien zeigen kurzfristige Reduktionen. Auf lange Sicht kehren die meisten auf das alte Niveau zurück.
Bei diagnostizierter Abhängigkeit ist Abstinenz die verlässlichste Strategie.

Warum sind viele Studien dazu anfällig für Verzerrungen?

Die Daten beruhen meist auf Selbstauskunft. Menschen mit Sucht neigen dazu, Mengen zu verharmlosen.
Erfolge wirken auf dem Papier größer als im Alltag.

Für wen kann Reduktion trotzdem sinnvoll sein?

Für riskant Trinkende ohne manifeste Abhängigkeit kann eine befristete Reduktion ein Einstieg in Veränderung sein.
Bei Abhängigkeit führt an Abstinenz kein Weg vorbei.

Wie ist Moderation Management einzuordnen?

Es richtet sich an Menschen, die ihren Konsum begrenzen wollen.
Der Fall der Gründerin Audrey Kishline mahnt jedoch.
Bei Abhängigkeit scheitert Kontrolle meist.

Zahlen Krankenkassen Kurse zum „kontrollierten Trinken“?

Einige Kassen bezuschussen anerkannte Präventionskurse nach § 20 SGB V.
Kritisch bleibt, dass damit das Trinken eines karzinogenen Suchtmittels gefördert wird.

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Arzt, Autor, Angehöriger & Mitbegründer von Alkohol adé

Dr. med. Bernd Guzek

Arzt, Autor, Angehöriger & Mitbegründer von Alkohol adé

Beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den biochemischen Grundlagen von Sucht und Hirnstoffwechselstörungen sowie deren Beeinflussung durch Nährstoffe.


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