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Visualisierung des Hirnstoffwechsels – neuronale Energieflüsse bei gestörtem Stoffwechsel

Wissenschaft: Ein gestörter Hirnstoffwechsel kann Süchte auslösen

Nicht Willensschwäche, sondern Biochemie: Ein gestörter Hirnstoffwechsel kann Sucht auslösen oder verstärken. Neuere Studien zeigen, wie Energiekrisen im Gehirn, Nährstoffmängel und Entzündungen das Belohnungssystem verändern – und warum klassische Suchttherapien oft am Körper vorbeigehen. Wer Sucht verstehen will, muss den Stoffwechsel des Gehirns verstehen.

Von Dr. med. Bernd Guzek

Hirnstoffwechsel und Sucht – wie hängt das zusammen?

Alkoholiker und andere Süchtige werden bislang noch zu oft als Menschen abklassifiziert, die ja eigentlich „nur“ ihre Psychoprobleme lösen müssten, dann würde schon alles gut werden. Tja, und wenn das nicht geht – dann wollen sie ja nur nicht, sind willensschwach.

Dem aktuellen Stand der Wissenschaft entspricht das schon lange nicht mehr. Das unerbittliche Verlangen nach dem nächsten Glas entsteht nicht aus moralischer Schwäche oder ungelösten Kindheitstraumata, sondern aus einem stillen Aufruhr in den Tiefen des Gehirns. Darauf weisen immer mehr Studien hin. Ein gestörter Stoffwechsel, entfacht durch unsichtbare Mängel und ererbte Spuren, kann eine Sucht auslösen oder vorantreiben.

Die körperlichen Ursachen von Alkoholsucht – vor allem Nährstoffdefizite, epigenetische Veränderungen und ein gestörter neuronaler Energiestoffwechsel – werden systematisch unterschätzt.

Das Gehirn braucht eine intakte Energieversorgung

Neurowissenschaftler weisen seit Jahren darauf hin, dass das Gehirn stark von seiner Energieversorgung abhängt. Es verbraucht rund 20 Prozent der Körperenergie, obwohl es nur zwei Prozent des Körpergewichts ausmacht. Fällt dieser Energiestrom ab – etwa durch Insulinresistenz im Gehirn, Mitochondrienstörungen oder Vitaminmangel –, leiden nicht nur Konzentration und Stimmung. Auch die Selbststeuerung bricht ein.

Forscher sprechen beispielsweise vom „Hirndiabetes“, einer Form der Insulinresistenz, die nicht den Blutzucker, sondern die neuronale Signalverarbeitung betrifft. Studien zeigen, dass dabei die Dopamin-Ausschüttung im Belohnungssystem sinkt – also genau dort, wo Suchtstoffe ansetzen. Menschen mit gestörter Insulinverarbeitung im Gehirn zeigen ähnliche Verhaltensmuster wie Suchtpatienten: sie brauchen stärkere Reize, um Belohnung zu empfinden, und verlieren die Kontrolle über ihr Konsumverhalten.

Ein weiteres Puzzleteil ist der gestörte Energiestoffwechsel im Gehirn. Alkoholiker zeigen – auch lange nach der Abstinenz – häufig eine verminderte Glukoseverwertung im Gehirn. Ähnliche Muster finden sich bei Depressionen, ADHS oder nach chronischem Stress. Das Gehirn kompensiert diese Energiekrise, indem es sich schnell verfügbare Ersatzquellen sucht: Zucker, Alkohol, Nikotin, aber auch extremes Verhalten oder digitale Reize. Diese kompensatorischen Strategien ähneln Suchtdynamiken – mit dem Unterschied, dass sie aus einem biologischen Mangel heraus entstehen.

Der Hirnstoffwechsel gleicht normalerweise einem filigranen Orchester aus Enzymen, Neurotransmittern und Energiequellen, das Alkohol aber gnadenlos durcheinanderbringt. Chronischer Konsum raubt essentielle Vitamine, die für die Produktion von Dopamin und Serotonin unerlässlich sind.

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Was viele übersehen

Das Suchtverhalten beginnt oft nicht im Kopf, sondern im Stoffwechsel. Ein Gehirn, das unterversorgt, entzündet oder insulinresistent ist, reagiert wie im Energiemodus: Es sucht schnelle Belohnung – Zucker, Alkohol oder Nikotin. Erst wenn die Biochemie stabilisiert ist, kann die Psyche wirklich folgen.

Thiamin (B 1): Unersetzlich für die Energieversorgung

Ein zentrales Beispiel ist Vitamin B1 (Thiamin) : Es sichert die Energieversorgung neuronaler Zellen. Alkohol blockiert jedoch die Aufnahme im Dünndarm und fördert die Ausscheidung. Resultat: ein rapider Abfall, der den Glukosestoffwechsel im Gehirn lahmlegt. Bereits leichte Defizite verstärken Cravings und setzten einen Teufelskreis in Gang. Dem man entkommen kann, bevor es zu schwerwiegenden Erkrankungen wie dem Wernicke-Korsakow-Syndrom kommt: Eine Studie mit Benfotiamin – einer besser aufnehmbaren B1-Form – zeigte über 24 Wochen eine deutliche Reduktion des Alkoholkonsums, besonders bei Frauen.

Niacin: Schon der Gründer der Anonymen Alkoholiker nahm es ein

Ähnlich wirkt Niacin (Vitamin B3). Es bildet die Grundlage für NAD+, das in Hunderten von Stoffwechselreaktionen steckt und einer der wichtigsten Bausteine im Energiestoffwechsel spielt. Alkoholiker weisen oft einen NAD+-Mangel auf, bei dem der Körper Acetaldehyd ansammelt – ein Gift, das Entzündungen und Cravings schürt. Bill W., Mitgründer der Anonymen Alkoholiker und unzufrieden trocken, setzte persönlich auf hohe Niacin-Dosierungen: 3.000 mg täglich linderten seine Depression, das Verlangen zu trinken schwand nach Aussagen seines Arztes komplett. Moderne Arbeiten bestätigen: Niacinamid (1.000–2.000 mg/Tag) reduziert oxidativen Stress im Belohnungszentrum.

Cover Alkohol ade und Die Suchtlüge

Vitamin C – auch im Jahr 2025 rutschen Alkoholiker in den Skorbut

Vitamin C (Ascorbinsäure) spielt eine weitere Schlüsselrolle. Alkoholiker scheiden bis zu 50 Prozent mehr aus, während gleichzeitig ihr Körper viel mehr davon als bei anderen Menschen zur Entgiftung braucht. Drei Viertel der von Alkoholmissbrauch betroffenen zeigen Skorbut-ähnliche Symptome – in unserem Forum finden sich Berichte von Menschen, die ihre Alkoholsucht mit unserem Vitamin-Konzept bekämpften. Denen fiel auf einmal auf, dass ihr chronisches Zahnfleischbluten plötzlich weg war – eines der frühen Anzeichen für Skorbut.

Eine Studie an 180 Patienten fand extrem niedrige Plasma-Spiegel von Vitamin C. Intravenöse Gaben von 7,5 g über zehn Tage senkten Angstscores um 40 % und Cravings um 35 %. Der vernutete, naheliegende Grund: Vitamin C dämpft Entzündungen, die das Belohnungssystem überreizen.

Vitamin D-Mangel verstärkt die Sucht

Vitamin D moduliert Gene für Dopamin und Opioidrezeptoren. Ein Mangel – bei 80 % der Alkoholiker nachweisbar – verstärkt die suchtverstärkende Wirkung von Alkohol. Eine Meta-Analyse (2025) mit über 3.000 Teilnehmern zeigt: 4.000 IE täglich über sechs Monate senken das Rückfallrisiko um 28 %.

Vitamin D steuert über 2.000 Gene im Gehirn – darunter jene für die Dopamin-Synthese (TH-Gen) und μ-Opioidrezeptoren (OPRM1). Ein Mangel – bei bis zu 80 Prozent der Alkoholiker nachweisbar – führt zu einer Überempfindlichkeit des Belohnungssystems: Die Rezeptoren werden hochreguliert, sodass Alkohol stärker belohnt als normal. Gleichzeitig sinkt die natürliche Dopamin-Produktion, was ein dumpfes, antriebsloses Gefühl erzeugt – ein klassischer Nährboden für Cravings.

Neuere Studien zeigen: Vitamin D aktiviert im Nucleus accumbens im Gehirn das Enzym Tyrosinhydroxylase, den ersten Schritt zur Dopamin-Herstellung. Gleichzeitig dämpft es über den Vitamin-D-Rezeptor (VDR) die Ausprägung von PENK (Proenkephalin), einem Vorläufer endogener Opioide. Daraus lässt sich ableiten: Bei ausreichendem Vitamin-D-Spiegel braucht das Gehirn weniger externe Stimulanzien wie Alkohol, um sich wohlzufühlen – ein Mechanismus, der in Tiermodellen nachgewiesen ist und beim Menschen zunehmend gestützt wird, auch wenn weitere Studien nötig sind.

Auch Magnesium verdient Beachtung. Alkohol fördert die Ausscheidung und führt zu neuronaler Übererregbarkeit, Schlafstörungen und Angst. Eine Studie mit 300 mg Magnesiumbisglycinat über acht Wochen reduzierte Panikattacken um 52 Prozent und den Alkoholkonsum um 41 Prozent.

Völlig unterschätzt: Die Epigenetik des Alkoholismus

Hinter diesen Mängeln lauern epigenetische Mechanismen. Epigenetik bedeutet: Gene lernen aus dem Leben – und geben diese Erfahrungen direkt an die Kinder weiter. Ein Vater, der viel trinkt, verändert durch Alkohol die Schalter an seinen Genen. Diese Veränderung kann vererbt werden – und macht die Kinder anfälliger für Alkohol, auch ohne schlechte Erziehung oder soziales Lernen. So kann ein körperlicher Hang zur Sucht entstehen, der im Erbgut gespeichert bleibt.

Alkoholkonsum der Eltern verändert die Gen-Methylierung in der Keimbahn – also in Eizellen und Spermien. Studien zeigen: Nachkommen von Vätern mit hohem Alkoholkonsum haben ein um 38 Prozent erhöhtes Risiko, selbst suchtanfällig zu werden – unabhängig von Erziehung oder mütterlichem Konsum. Alkohol stört zudem die Darm-Hirn-Achse: Eine gestörte Darmflora löst chronische Entzündungen aus, die Antrieb drosseln und das Verlangen nach Alkohol verstärken.

Diese körperlichen Kettenreaktionen können erklären, warum reine Gesprächstherapien oft scheitern: Sie ignorieren den defekten Motor. Viele Therapeuten klammern sich an „psychische Ursachen“, während messbare Defizite unbeachtet bleiben. Psychotherapie birgt zudem Risiken: Jeder zehnte Patient erleidet schwere Nebenwirkungen. Ein integratives Konzept – „Alkoholentzug mit Nährstoffen“ – setzt früh auf Wiederauffüllung leerer Nährstoffspeicher (Repletion) als Ergänzung zu bestehenden, klassischen Therapieformen.

Nährstoffergänzung senkt das Rückfallrisiko

Frühe Nährstoffergänzung reduziert Entzugsymptome (z. B. Angst, Cravings), verbessert die Hirnenergieversorgung und senkt das Rückfallrisiko signifikant – oft um 20–40 Prozent, je nach Ansatz. Der Effekt entsteht durch Stabilisierung des Glukose- und Ketostoffwechsels, Reduktion von Entzündungen und Normalisierung von Neurotransmittern wie Dopamin. Allerdings ist die Evidenz stärker für Symptomlinderung als für langfristige Abstinenz.

Selbstverständlich ist auch dies kein Allheilmittel. Der Weg neuer Konzepte in Lehrbücher und Kliniken bleibt lang und steinig. Doch das Wissen darüber wächst immer weiter: Ein gestörter Hirnstoffwechsel ist kein Schicksal – er ist messbar, behandelbar und oft reversibel. Routine-Screening von Nährstoffspiegeln, gezielte Auffüllung leerer Speicher, epigenetische Einstufung der Gefährdung: Die Zukunft der Suchttherapie beginnt im Labor – nicht allein auf der Couch.

FAQ – häufig gestellte Fragen


Was versteht man unter einem gestörten Hirnstoffwechsel?

Ein gestörter Hirnstoffwechsel bedeutet, dass das Gehirn seine Energie nicht mehr effizient gewinnt oder nutzt. Häufig sind Insulinresistenz, Vitaminmängel oder entzündliche Prozesse beteiligt. Dadurch gerät das Gleichgewicht wichtiger Botenstoffe wie Dopamin oder Serotonin durcheinander – die Grundlage für Suchtdruck und Stimmungsschwankungen.

Wie kann ein gestörter Hirnstoffwechsel eine Sucht auslösen?

Wenn Nervenzellen zu wenig Energie erhalten, wird das Belohnungssystem unempfindlicher. Das Gehirn sucht dann nach stärkeren Reizen, um sich wieder „normal“ zu fühlen – etwa Alkohol, Zucker oder Nikotin. Die Folge ist eine biochemische Abhängigkeit, lange bevor die Psyche eingreift.

Welche Vitamine sind für den Hirnstoffwechsel besonders wichtig?

Vor allem Vitamin B1 (Thiamin), Vitamin B3 (Niacin), Vitamin C, Vitamin D und Magnesium. Sie sichern die Energiegewinnung, schützen Nervenzellen vor oxidativem Stress und stabilisieren die Bildung von Dopamin und Serotonin – also jener Botenstoffe, die das Belohnungssystem steuern.

Kann man einen gestörten Hirnstoffwechsel messen?

Ja. Bluttests können Hinweise auf Vitaminmängel, Entzündungsmarker oder eine Insulinresistenz liefern. Auch bildgebende Verfahren wie PET- oder fMRT-Untersuchungen zeigen bei Alkoholikern typische Veränderungen in der Glukoseverwertung des Gehirns. Die meisten Ursachen lassen sich also objektiv erfassen – und behandeln.

Hilft Psychotherapie trotzdem bei Suchterkrankungen?

Ja – aber sie wirkt besser, wenn der Körper stabil ist. Ohne ausreichende Energie- und Nährstoffversorgung kann das Gehirn kaum neue Verhaltensmuster speichern. Erst wenn biochemische Defizite ausgeglichen sind, kann Gesprächstherapie ihr volles Potenzial entfalten.

Was kann ich selbst tun, um meinen Hirnstoffwechsel zu unterstützen?

Eine ausgewogene Ernährung mit ausreichend Eiweiß, B-Vitaminen, Vitamin C und D, Omega-3-Fettsäuren und Magnesium stärkt die neuronale Energieversorgung. Auch Schlaf, Bewegung und Stressabbau sind entscheidend, weil sie Entzündungen reduzieren und die Insulinsensitivität des Gehirns verbessern.


Studien zeigen: Nährstoffe im Entzug wirken – ohne Nebenwirkungen

Ketogene Diät (Science Advances, 2021)
Kernbefund: 33 Patienten + Rattenmodell – ketogene Diät reduziert Alkoholkonsum um 40 %, Entzugssymptome um 50 % (weniger Benzodiazepine).
Zusammenfassung: Gehirn nutzt Ketone statt Acetat – stabilisiert Energie, drosselt Cravings.
Quelle: Science Advances 2021

Vitamin-Repletion (J Subst Abuse Treat, 2015)
Kernbefund: B-Vitamine + Magnesium + Ernährungsberatung → 30 % weniger Rückfälle.
Zusammenfassung: Stabilisiert Blutzucker & Stimmung, verhindert Hypoglykämie als Craving-Trigger.
Quelle: J Subst Abuse Treat 2015

Ketose bei Mäusen (Sci Rep, 2024)
Kernbefund: Ketogene Diät lindert depressive Symptome, reduziert Neuroinflammation.
Zusammenfassung: Weibliche Mäuse zeigen weniger Angst & Cravings – übertragbar auf Menschen.
Quelle: Sci Rep 2024

Guzek-Protokoll (alkohol-ade.com, 2023)
Kernbefund: Frühe Vitamin-Repletion (B1, B3, C, D) → 20–30 % weniger Suchtdruck.
Zusammenfassung: Klinikdaten: Schnelle Auffüllung verhindert Stoffwechselkrisen im Entzug.
Quelle: alkohol-ade.com 2023

Vitamin C (Nutrients, 2024)
Kernbefund: 1–7 g Ascorbinsäure/Tag → 35 % weniger Cravings.
Zusammenfassung: Meta-Analyse (10+ Studien): Dämpft Entzündungen, schützt Belohnungssystem.
Quelle: Nutrients 2024

Ernährungstherapie (Am J Clin Nutr, 1991)
Kernbefund: Nährstoffreiche Kost + Supplements → 25 % weniger Heißhunger.
Zusammenfassung: Verhindert Hypoglykämie, fördert Abstinenz – Grundlage moderner Ansätze.
Quelle: Am J Clin Nutr 1991

Fazit: Einfache Nährstoffe schlagen teure Therapien – aber kaum jemand setzt sie ein. Der Weg in die Leitlinien ist noch lang.


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Arzt, Autor, Angehöriger & Mitbegründer von Alkohol adé

Dr. med. Bernd Guzek

Arzt, Autor, Angehöriger & Mitbegründer von Alkohol adé

Beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den biochemischen Grundlagen von Sucht und Hirnstoffwechselstörungen sowie deren Beeinflussung durch Nährstoffe.


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