Epigenetik untersucht Dinge, die außerhalb unserer DNA-Erbsubstanz geschehen und vererbt werden. Auszug aus dem Buch:
“Alkoholismus ist vererblich. Eigentlich macht das doch keinen Sinn: Warum sollte die Natur ein Alkoholiker-Gen in unsere Erbsubstanz eingebaut haben? Hat sie natürlich auch nicht. Trotzdem wird Alkoholismus in der Familie genetisch weiter gegeben. Nur wie? Es ist noch nicht so lange her, seitdem die Spitzenforschung endlich die Antwort fand: Die Erb-Macke liegt nicht in unserer eigentlichen Erbsubstanz (der DNA) verschlüsselt, sondern sozusagen eine Ebene höher. Deshalb heißt diese Forschungsdisziplin auch Epigenetik.
Der Webfehler liegt in einem Eiweißknäuel, um das sich unser Erbgut herumwickelt. Dieses so genannte Histon ist dafür zuständig, was aus den Erbinformationen am Ende wirklich entsteht. Bildlich gesprochen: Die DNA, das Erbgut, ist das Rezeptbuch. Das Histon ist der Koch. Während das Rezeptbuch (die DNA) quasi in Stein gemeißelt ist, kann der Koch schon mal Fehler machen.
Das Histon-Eiweißknäuel ist empfindlich auf Umwelteinflüsse und kann Schaden nehmen. Dann entstehen Probleme. Schäden am Histon entscheiden, ob jemand Diabetes oder Krebs bekommt – oder ob beispielsweise der Stoffwechsel einiger Hirnbotenstoffe nicht ordentlich funktioniert. Das Dumme ist: Unsere DNA und das Histonknäuel dazu wird im Paket vererbt. Schäden am Histon gehen also auch auf die nächste Generation über, genau wie die Erbsubstanz selbst.”
Epigenetik beschreibt also „Schalter“ auf der DNA, die bestimmen, ob ein Gen aktiv wird oder stumm bleibt. Dazu gehören zum Beispiel Methylierungen auf der DNA oder Veränderungen an Histonproteinen. Sie verändern nicht die Buchstaben der DNA, sondern die Lesbarkeit des Rezeptbuchs.
Alkohol kann diese epigenetischen Schalter direkt beeinflussen. Chronischer Konsum verändert Methylierungen an Genen, die für Neurotransmitter oder Stresshormone wichtig sind. Das erklärt, warum Suchterkrankungen nicht nur chemische Gewohnheit sind, sondern tief in die Steuerung des Genoms eingreifen.
Besonders eindrucksvoll: Epigenetische Veränderungen können auch weitervererbt werden. Kinder von Alkoholkranken tragen dadurch ein erhöhtes Risiko – nicht, weil sie ein „Alkoholiker-Gen“ geerbt haben, sondern weil die Steuerung bestimmter Gene bereits durch die Lebensweise der Eltern verändert wurde.
Die Forschung zeigt außerdem, dass epigenetische Prozesse umkehrbar sind. Gesunde Ernährung, Bewegung, Alkoholabstinenz und bestimmte Nährstoffe (z. B. B-Vitamine, Folat, Methionin) können Methylierungen wieder beeinflussen. Das macht Hoffnung: Epigenetik ist kein Schicksal, sondern ein dynamisches System, das wir durch unseren Lebensstil mitsteuern können.
Den vollständigen Text finden Sie im Buch Alkohol adé
Dr. med. Bernd Guzek #
Arzt, Autor, Angehöriger & Mitbegründer von Alkohol adé
Beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den biochemischen Grundlagen von Sucht und Hirnstoffwechselstörungen sowie deren Beeinflussung durch Nährstoffe.