Den natürlichen Neurotransmitter Glutamat nennen Chemiker auch Glutaminsäure – den künstlichen Geschmacksverstärker dagegen Mononatriumglutamat. Für beide hat sich der Begriff Glutamat eingebürgert, es ist also nur eine verwirrende Namensgleichheit. Sprechen wir hier von Glutamat, ist der körpereigene Botenstoff gemeint.
Glutaminsäure ist eine nicht-essentielle Aminosäure. L-Glutaminsäure ist Vorstufe in der Biosynthese von Ornithin, Prolin und Hydroxyprolin. Zudem dient L-Glutaminsäure als Bestandteil von Coenzymen, z.B. Coenzym A und Folsäure.
Bewegung, Aufmerksamkeit, Wachsamkeit, Konzentration. Das ist Glutamat-Revier. Wer ein ausgewogenes GABA und Glutamatsystem hat, der kann sich gut konzentrieren, ist aufmerksam und hellwach – kann sich danach aber genauso wieder beruhigt entspannen.
Alkohol wirft auch dem Glutamatsystem einen Stock zwischen die Beine. Er knipst die Glutamat-Andockstellen einfach aus. Da kann so viel Glutamat im Nervensystem herum schwimmen, wie es will – wenn es nicht andocken kann, kann es auch nicht wirken.
Jetzt haben wir einen miesen Doppeleffekt. Alkohol tut so, als wäre er GABA und entspannt. Gleichzeitig schaltet er das Glutamatsystem auf stumm und unterdrückt die nötige Gegenspannung und Wachsamkeit. So erzeugt er eine künstliche Tiefenentspannung – so lange der Alkohol durch die Adern fließt.
Mittelfristig steuert der Körper dagegen und erhöht die Andockstellen für das erregende Glutamat. Der Körper gerät dadurch in einen ständigen Zustand der Anspannung, detailliert nachzulesen im Buch “Alkohol adé“.
Glutamat im Entzug #
Wenn der Alkohol wegfällt, bleiben die vielen zusätzlichen Glutamatrezeptoren erhalten. Gleichzeitig ist das hemmende GABA-System durch den Dauertrick mit dem Alkohol herunterreguliert. Das Gehirn läuft dadurch plötzlich „heiß“. Typische Folgen in der Entzugsphase sind innere Unruhe, Zittern, Schlaflosigkeit, Herzrasen – im Extremfall Krampfanfälle oder das Delirium tremens. Das erklärt, warum ein plötzlicher Alkoholstopp ohne ärztliche Begleitung gefährlich sein kann.
Warnung: Im Entzug kann das Glutamatsystem überdrehen.
→ Symptome wie Unruhe, Schlafstörungen, Krampfanfälle sind möglich.
Langfristige Folgen eines Glutamatüberschusses #
Ein dauerhaft überaktives Glutamatsystem kann Nervenzellen schädigen – Fachleute sprechen von Exzitotoxizität. Das Gehirn befindet sich dann in einem Zustand ständiger Alarmbereitschaft. Für Betroffene zeigt sich das in Reizbarkeit, erhöhter Stressanfälligkeit und einer geringen Fähigkeit, Freude oder Entspannung zu empfinden. Gerade in den ersten Monaten nach dem Alkoholstopp ist das ein zentraler Grund, warum viele den Alltag als „hart“ und „grau“ empfinden.
Gegengewicht durch GABA #
Der natürliche Gegenspieler von Glutamat ist GABA. Im gesunden Gehirn halten sich beide Systeme im Gleichgewicht: Glutamat sorgt für Aufmerksamkeit und Antrieb, GABA für Ruhe und Erholung. Alkohol zerstört diese Balance künstlich. Die Wiederherstellung eines stabilen GABA-Glutamat-Verhältnisses ist deshalb ein Schlüssel für die langfristige Stabilisierung nach der Abstinenz. Medikamente (z. B. Benzodiazepine in der Entzugstherapie) und bestimmte Nährstoffe (Vitamin B6, Taurin, N-Acetylcystein) wirken genau auf dieses Zusammenspiel.
Fazit #
Glutamat ist mehr als ein einfacher Eiweißbaustein – es ist der wichtigste anregende Neurotransmitter des Gehirns. Im Zusammenspiel mit GABA entscheidet es, ob wir wach und konzentriert sind oder zur Ruhe kommen können. Alkohol verschiebt diese Balance massiv, und die Folgen spüren Betroffene noch lange nach der letzten Flasche. Erst wenn das Gleichgewicht von Glutamat und GABA wiederhergestellt ist, gelingt eine stabile und entspannte Abstinenz.
Balance im Gehirn: Glutamat (anregend) ↔ GABA (beruhigend)
- Glutamat: Wachheit, Konzentration, Antrieb
- GABA: Ruhe, Entspannung, Schlaf
Alkohol stört die Balance: GABA wird künstlich verstärkt, Glutamat blockiert. → Kurzfristig Entspannung, langfristig Unruhe & Entzugssymptome.
Dr. med. Bernd Guzek #
Arzt, Autor, Angehöriger & Mitbegründer von Alkohol adé
Beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den biochemischen Grundlagen von Sucht und Hirnstoffwechselstörungen sowie deren Beeinflussung durch Nährstoffe.