Nicotinsäure (auch: Niacin) ist ein Vitamin aus dem B-Komplex. Vitamin B3 findet sich in allen lebenden Zellen und wird in der Leber gespeichert. Es ist ein wichtiger Baustein verschiedener Coenzyme (sozusagen Hilfsenzyme), ohne die der Stoffwechsel von Eiweißen, Fetten und Kohlenhydraten nicht rund läuft. Es wirkt mit am Zitratzyklus und der Atmungskette. ist wichtig für die Regeneration von Haut, Muskeln, Nerven und Erbsubstanz.
Symptome bei Mangel an Vitamin B3 können sein:
- Appetitlosigkeit
- Konzentrations– und Schlafstörungen
- Reizbarkeit
- Hautveränderungen, entzündete, schuppige, raue Haut
- Durchfall
- Depressionen
- Entzündung der Mund- und Magen-Darm-Schleimhäute
- Krankheit: Pellagra (kann unter anderem zu Demenz führen)
In den 50ern und 60ern Jahren fand eine umfangreiche Forschung zum Niacin statt, auch zu dessen guter WIrkung auf Alkoholiker. Nur sind diese Ergebnisse leider wieder in Vergessenheit geraten. Allerdings liest man auch heute noch in den Standard-Lehrbüchern, dass Alkoholikern das Vitamin häufig fehlt.
William Wilson ist der berühmteste Säufer der Weltgeschichte. Besser bekannt als „Bill W.“ hat er zusammen mit einem Leidensgenossen die Anonymen Alkoholiker gegründet. Man sollte meinen, er hätte fortan ein glückliches Leben geführt. Weit gefehlt. Er litt auch trocken fürchterlich.
„Bill ging es nicht gut, obwohl er schon so viele Jahre trocken war. Er litt unter enormen Angstzuständen, Schlaflosigkeit, Anspannung und Müdigkeit“, erinnert sich der kanadische Arzt Dr. Abram Hoffer. Der Mediziner behandelte schon damals Alkoholiker mit Nährstoffen. Im Jahre 1958 kam auch Bill W. dazu. Hoffer erinnert sich: „Nachdem er begann, Niacin zu nehmen verschwanden seine Symptome und sie kamen auch nicht wieder. Er war fest entschlossen, so vielen AA-Mitgliedern wie möglich den Nutzen dieses Vitamins zukommen zu lassen. Ohne es mir zu sagen, probierte er es an 30 Freunden und Kollegen aus.
Mit Hoffers Unterstützung verfasste Bill W. voller Begeisterung sein Werk „Die Vitamin B3-Therapie.“ Bill W. wollte unbedingt, dass Nährstoffe fester Bestandteil der Alkoholtherapie werden. Er stellte seine Ideen auf drei Ärztekonferenzen vor – und traf auf massive Ablehnung.
In den 70er Jahren fand der amerikanische Arzt und Forscher Russel F. Smith bestätigt, was Bill W. zum Niacin-Fan gemacht hatte: Das Vitamin beseitigte in fast allen Fällen das so genannte „Dry Drunk Syndrome.“ 1981 veröffentlichten japanische Pathologen eine Studie an 20 verstorbenen Akoholikern – alle hatten eine Pellagra, also die voll entwickelte Niacin-Mangelkrankheit gehabt. Und niemand hatte es vor ihrem Tod bemerkt.
Alkoholstoffwechsel und Niacin #
Neuere Untersuchungen zeigen, dass Vitamin B3 auch auf biochemischer Ebene eng mit dem Alkoholstoffwechsel verknüpft ist. Bei starkem Alkoholkonsum braucht der Körper große Mengen an Niacin, weil es als Coenzym für die Alkoholdehydrogenase und weitere Entgiftungswege benötigt wird. Genau dadurch entleeren sich die Speicher schnell, während die Aufnahme im Darm durch Alkohol zusätzlich gestört wird.
Besonders bemerkenswert: Niacin steht an einem biochemischen Scheideweg. Der Körper kann es aus der Aminosäure Tryptophan herstellen – doch im Alkoholstoffwechsel wird Tryptophan bevorzugt in diese Richtung umgeleitet. Das bedeutet: Alkoholiker entwickeln häufig einen gleichzeitigen Mangel an Serotonin (weil weniger Tryptophan dafür zur Verfügung steht) und an Niacin. Beides zusammen erklärt depressive Symptome, Schlafstörungen und das erhöhte Rückfallrisiko.
Damit wird verständlich, warum gerade bei trockenen Alkoholikern die gezielte Gabe von Vitamin B3 in der Vergangenheit so oft positive Effekte gezeigt hat – und warum die alten Beobachtungen von Bill W. und Dr. Hoffer heute wieder neu diskutiert werden sollten.
Vitamin B3 & Alkohol – Doppelter Mangel
Der Körper nutzt Tryptophan als Ausgangsstoff für zwei Wege:
- Serotonin: Stimmung, Schlaf, innere Ruhe
- Niacin (Vitamin B3): Alkoholabbau, Energie-Stoffwechsel
Alkohol raubt beide Wege: Er erhöht den Bedarf an Niacin für die Entgiftung und blockiert gleichzeitig die Bildung von Serotonin. Die Folge: Depressionen, Schlafstörungen und höheres Rückfallrisiko.
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Dr. med. Bernd Guzek #
Arzt, Autor, Angehöriger & Mitbegründer von Alkohol adé
Beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den biochemischen Grundlagen von Sucht und Hirnstoffwechselstörungen sowie deren Beeinflussung durch Nährstoffe.