E. M. Jellinek (Elvin Morton Jellinek, 1890–1963) war ein US-amerikanischer Physiologe und Suchtforscher, der als Begründer des Krankheitsmodells der Alkoholabhängigkeit gilt. Sein Name ist eng mit dem sogenannten „Jellinek-Modell“ verbunden, das die bis heute verbreitete Vorstellung prägte, Alkoholismus sei eine chronisch fortschreitende und letztlich unheilbare Krankheit.
Jellinek war ab den 1930er-Jahren in der Alkoholismusforschung tätig, unter anderem im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation und in Zusammenarbeit mit der Yale School of Alcohol Studies. 1946 veröffentlichte er den Aufsatz Phases of Alcohol Addiction, in dem er den Verlauf der Abhängigkeit erstmals systematisch zu beschreiben versuchte. Sein Ziel war es, Alkoholismus aus der moralischen und religiösen Deutung herauszulösen und wissenschaftlich zu klassifizieren.
Bekannt wurde Jellinek vor allem durch sein 1960 erschienenes Buch The Disease Concept of Alcoholism. Darin unterschied er fünf Haupttypen des Alkoholismus, die er mit den griechischen Buchstaben Alpha bis Epsilon bezeichnete. Der Alpha-Typ entsprach einer psychischen Abhängigkeit ohne Kontrollverlust, der Beta-Typ wies körperliche Schäden ohne Suchtverhalten auf, der Gamma-Typ zeigte den klassischen Verlauf mit Kontrollverlust und Toleranzsteigerung. Der Delta-Typ konnte den Konsum zwar nicht beenden, ihn aber konstant halten, und der Epsilon-Typ beschrieb periodisches, bingeartiges Trinken.
Zentral war für Jellinek das Konzept des Kontrollverlusts: Nach Beginn des Trinkens könne der Alkoholiker nicht mehr aufhören. Diese Idee prägte die Vorstellung, Alkoholabhängigkeit sei eine Krankheit eigener Art – nicht bloß ein Symptom psychischer, sozialer oder medizinischer Probleme. Das Modell wurde zur theoretischen Grundlage vieler Behandlungsansätze und trug wesentlich zur Entwicklung der 12-Step-Bewegung bei, deren Abstinenzgedanke bis heute prägend ist.
Jellineks Werk war für seine Zeit bahnbrechend, gilt heute jedoch in wesentlichen Punkten als überholt. Seine Typologie beruhte auf einer stark eingeschränkten Datengrundlage – vor allem auf anonymen Fragebögen, die von Mitgliedern der Anonymen Alkoholiker ausgefüllt worden waren. Kritiker bemängeln, dass diese Stichprobe nicht repräsentativ war und eine erhebliche Verzerrung enthielt.
Kritik an Jellineks Modell #
Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse stellen zentrale Annahmen Jellineks in Frage. Der Psychiater Mark Willenbring, langjähriger Forschungsdirektor am National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism (NIAAA), betont, dass die Vorstellung einer unheilbaren, chronisch-progressiven Krankheit empirisch nicht haltbar sei. Nach seiner Auffassung ist Alkoholabhängigkeit ein Spektrum von Verhaltensstörungen mit unterschiedlichen biologischen, psychischen und sozialen Ursachen. Viele Betroffene können ihr Trinkverhalten verändern oder kontrollieren, ohne vollständig abstinent zu werden.
Besonders deutlich wurde diese Perspektive durch die Ergebnisse der NESARC-Studie (National Epidemiologic Survey on Alcohol and Related Conditions), einer großangelegten Untersuchung des NIAAA. Sie zeigte, dass etwa 30 Prozent der erwachsenen US-Bevölkerung im Laufe ihres Lebens Kriterien einer Alkoholgebrauchsstörung erfüllten, die meisten jedoch nur eine begrenzte Episode erlebten und anschließend dauerhaft stabil blieben. Rund 72 Prozent der ehemals Abhängigen berichteten Remission ohne Rückfälle – häufig auch ohne formale Therapie.
Die NESARC-III-Erhebung bestätigte diese Ergebnisse und verdeutlichte, dass Alkoholabhängigkeit kein einheitliches Krankheitsbild ist, sondern sich in Dauer, Verlauf und Schweregrad stark unterscheidet. Die Mehrheit der Betroffenen erreicht eine nachhaltige Besserung – teils abstinent, teils mit kontrolliertem Konsum.
Auch die DSM-5-Klassifikation der „Alcohol Use Disorder“ (American Psychiatric Association, 2013) trägt dieser Erkenntnis Rechnung. Sie ersetzt die frühere Trennung zwischen Missbrauch und Abhängigkeit durch ein Kontinuum von Schweregraden: leicht, mittel und schwer. Eine Störung durch Alkoholkonsum liegt demnach vor, wenn mindestens zwei von elf diagnostischen Kriterien erfüllt sind. Dieses Modell versteht Alkoholprobleme nicht mehr als separate Krankheit, sondern als Störung mit fließenden Übergängen.
In der Zusammenschau dieser Befunde gilt Jellineks Modell heute als historisch bedeutsam, aber wissenschaftlich überholt. Es markierte den Übergang von moralischer Bewertung zu medizinischem Verständnis, doch die moderne Forschung betrachtet Alkoholabhängigkeit als dynamischen, multifaktoriellen und individuell veränderbaren Prozess.
Siehe auch: Mark Willenbring – Kritik am traditionellen Krankheitsmodell und moderne Ansätze der Suchtbehandlung.
Elvin Morton Jellinek (1890–1963) war ein US-amerikanischer Physiologe und Suchtforscher. Er gilt als Begründer des modernen Krankheitsmodells der Alkoholabhängigkeit und prägte die Vorstellung, Alkoholismus sei eine chronisch fortschreitende Krankheit.Wer war E. M. Jellinek?
Jellinek unterschied fünf Haupttypen des Alkoholismus (Alpha bis Epsilon). Besonders der Gamma-Typ mit Kontrollverlust und Toleranzsteigerung gilt als klassisches Bild der Abhängigkeit. Sein Modell wurde zur theoretischen Grundlage der Abstinenz- und 12-Step-Programme.Was besagt das Jellinek-Modell?
Jellinek ging davon aus, dass Abhängige nach dem ersten Glas die Kontrolle über die Trinkmenge verlieren. Diese Idee machte Alkoholabhängigkeit zu einer eigenständigen Krankheit, nicht nur zu einem moralischen oder willensschwachen Verhalten.Was bedeutet der Begriff „Kontrollverlust“ bei Jellinek?
Neuere Studien wie die NESARC- und NESARC-III-Erhebungen zeigen, dass Alkoholabhängigkeit meist kein unumkehrbarer Verlauf ist. Viele Betroffene erreichen Remission ohne Rückfälle. Daher gilt Jellineks Modell heute als historisch bedeutsam, aber wissenschaftlich überholt.Wie wird Jellineks Modell heute bewertet?
Das DSM-5 ersetzt die frühere Trennung zwischen Missbrauch und Abhängigkeit durch das Kontinuum der „Alcohol Use Disorder“. Sie wird in drei Schweregrade eingeteilt und erfasst das gesamte Spektrum alkoholbezogener Störungen.Was sagt das DSM-5 zur Alkoholabhängigkeit?
Dr. med. Bernd Guzek #
Arzt, Autor, Angehöriger & Mitbegründer von Alkohol adé
Beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den biochemischen Grundlagen von Sucht und Hirnstoffwechselstörungen sowie deren Beeinflussung durch Nährstoffe.