Neurotransmitter (Nervenbotenstoffe) leiten Reize von einer Nervenzelle zu einer anderen Nervenzelle oder Zelle weiter, können sie dabei auch verstärken oder modulieren.
Bislang kennt die Forschung etwa 100 Nervenbotenstoffe, von denen jeder eine spezielle Aufgabe im Körper erfüllt. Sind unsere Neurotransmitter ausbalanciert, läuft alles reibungslos und uns geht es gut. Alkohol allerdings zerstört diese chemische Harmonie.
Unsere Nerven sind keine durchgehenden Kabelstränge. Gäbe es nur Info-Direktverbindungen quer durch den Körper (etwa „Gehirn an Daumen“, „Gehirn an kleinen rechten Zeh“ „Gehirn an linkes Knie“ und so fort) wäre der dazu nötige Nerven-Kabelbaum wohl so dick wie eine tausendjährige Eiche – und wir entsprechend breit.
Die Natur hat eine sehr platzsparende Lösung erfunden. Nerven haben immer nur eine bestimmte Länge. Das Nervende verzweigt sich wie ein Ast. So entstehen aus einem Nerv ganz viele Enden. Diese können sich mit anderen Nervenden chemisch verkoppeln. Allein unser Gehirn besteht aus ca. 90 Milliarden Nervenzellen. Zwischen ihnen und ihrem unmittelbaren Nerv-Nachbarn klafft ein winziger Spalt, so klein, dass man ihn mit bloßem Auge nicht mal erkennt. Diesen Spalt nennt man Synapse. Knapp eine Billiarde (das ist kein Schreibfehler) Synapsen hat allein unser Gehirn.
Informationen laufen auf Nerven wie in einem Stromkabel. Durch den Nerv sausen winzige elektrische Spannungen. Am Nerven-Ende angelangt, muss dieser elektrische Impuls den Spalt zum nächsten Nerven überwinden. Anders können die Information nicht weiter fließen. Stellen Sie sich die Situation am Nerven-Ende bildlich so vor: Da steht ein Kurier an einer Kaimauer, seine Info muss ans andere Ufer.
Deshalb braucht er einen schwimmenden Nachrichten-Überbringer. Genau diesen Fährmanns-Job übernehmen Nervenbotenstoffe.
Nervenbotenstoffe sind beispielsweise…
- Adrenalin
- Dopamin
- Histamin
- Melatonin
- Noradrenalin
- Serotonin
- Endorphine
- Oxytocin
- Somatostatin
- Vasopressin
- γ-Aminobuttersäure (GABA)
- Asparaginsäure (Aspartat)
- Glutaminsäure (Glutamat)
- Acetylcholin
- Stickstoffmonoxid
Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Alkohol greift gleich auf mehreren Ebenen in fein austarierte Systeme ein. Zum einen verstärkt er akut die Wirkung des hemmenden Botenstoffs GABA, wodurch sich Entspannung und Schläfrigkeit einstellen. Gleichzeitig blockiert er die Wirkung des anregenden Glutamats, was das Denken und Reagieren verlangsamt. Bei längerem Konsum verschiebt sich dieses Gleichgewicht dauerhaft: Das Gehirn produziert weniger GABA-Rezeptoren, während die Empfindlichkeit für Glutamat steigt. Die Folge sind innere Unruhe, Schlafstörungen und ein erhöhtes Stressniveau. Auch die Produktion von Dopamin und Serotonin wird aus dem Takt gebracht – zunächst kommt es zu künstlich verstärkten Belohnungseffekten, später zu einem Mangelzustand, der Depressionen und Suchtdruck begünstigt.
Im Alkoholausstieg muss das Gehirn diese Balance Schritt für Schritt wiederherstellen. Viele Symptome wie Nervosität, Schlafprobleme oder Stimmungsschwankungen erklären sich genau aus diesem Ringen um ein neues Gleichgewicht der Neurotransmitter. Ein stabiles Zusammenspiel dieser Botenstoffe ist deshalb entscheidend für langfristige Erholung und seelische Stabilität.
Wichtige Neurotransmitter im Zusammenhang mit Alkohol:
- GABA (γ-Aminobuttersäure) – wichtigster hemmender Botenstoff; Alkohol verstärkt seine Wirkung → Entspannung, Schläfrigkeit. Bei chronischem Konsum passt sich das System an, die dämpfende Wirkung nimmt ab → innere Unruhe, Zittern im Entzug.
- Glutamat – wichtigster anregender Botenstoff; wird durch Alkohol blockiert → verlangsamtes Denken, Sprach- und Koordinationsstörungen. Bei dauerhaftem Konsum überaktiviert → Nervosität, Schlafstörungen, Krampfanfälle im Entzug.
- Dopamin – zentral im Belohnungssystem; Alkohol führt zu vermehrter Ausschüttung → euphorische Effekte. Mit der Zeit nimmt die Eigenproduktion ab → Stimmungstiefs, Antriebslosigkeit, Suchtdruck.
- Serotonin – reguliert Stimmung, Schlaf und Appetit; Alkohol stört die Balance → kurzfristige Enthemmung, langfristig depressive Verstimmungen und Schlafprobleme.
Dr. med. Bernd Guzek #
Arzt, Autor, Angehöriger & Mitbegründer von Alkohol adé
Beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den biochemischen Grundlagen von Sucht und Hirnstoffwechselstörungen sowie deren Beeinflussung durch Nährstoffe.